Sammlung: Kreditfinanzierung und Umverteilung
Mit den staatlichen Stützungsprogrammen in der Corona-Krise sind Fragen der Kreditfinanzierung, Schuldenbremse, Vermögensabgabe und steuerlichen Umverteilung aufgeworfen, die im grün-rot-roten Spektrum zum Teil übereinstimmend, zum Teil kontrovers diskutiert werden.
Im Folgenden sind einige Debattenbeiträge und Positionspapiere zur Staatsschulden- und Steuerdebatte zusammengetragen. Mit Beiträgen von Fabio de Masi und Axel Troost, Robert Habeck und Reiner Hoffmann, Positionspapieren von Grünen, SPD und Linkspartei; Studien und anderen Hinweisen, etwa zu Diskussionen über die landespolitischen Schuldenbremsen.
Warum die Schuldenbremse zum Wahlkampfschlager werden soll. aus: Rundblick Niedersachsen (Januar 2021) — Link
“…Die Finanzpolitik ist derzeit ein Bindeglied zwischen SPD, Grünen und DGB vor der Bundestagswahl im Herbst. Erst in dieser Woche mahnten die Chefs von Grünen und DGB, Robert Habeck und Reiner Hoffmann, in einem gemeinsamen Statement die Änderung der Schuldenbremse und die Streckung der Tilgung bei den Corona-Krediten an. Ihr Vorschlag, der nicht näher ausgeführt wurde, sieht eine Ausnahme vom Kreditaufnahmeverbot „zugunsten öffentlicher Investitionen“ vor. Beide betonen, dass eine höhere Verschuldung kein Problem sei — da damit das Wirtschaftswachstum steige und die Zinsbelastung verringert werde. Auch Habeck und Hoffmann wissen — ebenso wie Weil, Modder, Payandeh und Wenzel in Niedersachsen -, dass eine Zweidrittelmehrheit zur Aufweichung der Schuldenbremse in Grundgesetz und Landesverfassung derzeit wenig wahrscheinlich ist: Vor allem die FDP, aber auch die CDU und die AfD dürften dabei nicht mitmachen wollen. SPD und Grüne können aber mit Verweis auf ihr Konzept neue staatliche Ausgabenprogramme versprechen, bei denen die anderen Parteien, die sich selbst eine Sparsamkeitsverpflichtung auferlegt haben, nicht werden mithalten können. Das heißt: Die Schuldenbremse-Debatte kann Sozialdemokraten und Grünen die eigene Positionsbeschreibung in den bevorstehenden Wahlkämpfen aufbessern…”
Eine Staatsschulden- und Steuerdebatte tut not: Fabio de Masi und Axel Troost (Linke) zu Habeck und Hoffmann (Januar 2021) — Link
»…Natürlich haben Habeck und Hoffmann Recht damit, dass die Schulden durch die Corona-Krise auch ohne eine Vermögensabgabe zu finanzieren sind. Alle fortschrittlichen Ökonomen sind sich einig, dass die Staatsschulden per se derzeit kein Problem sind… Mit ihrer Absage an eine Steuerdebatte würgen Habeck und Hoffmann aber eine Verteilungsdebatte ab, die jetzt und gerade vor der nächsten Bundestagswahl unbedingt notwendig ist. Die Parteien der Großen Koalition sind offensichtlich fest gewillt, bald nach der Wahl die Schuldenbremse wieder anzuwenden. Dies bedeutet, dass in der nächsten Legislatur die Steuern erhöht oder die Investitionen und Ausgaben für Soziales gekürzt werden müssen…«
Deutschland muss nicht sparen, sondern investieren. Eine Steuerdebatte braucht es jetzt nicht: Grünen-Chef Robert Habeck und DGB-Chef Reiner Hoffmann (Januar 2021) — Link
»…Erstens sollten die Tilgungsfristen für die coronabedingten Kredite deutlich verlängert werden. Zweitens sollten wir auf der europäischen Ebene den Stabilitäts- und Wachstumspakt und in Deutschland die Schuldenbremse reformieren. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion erfordert eine gemeinsame Koordinierung und Regeln zu Obergrenzen öffentlicher Ausgaben. Aber wenn diese Regeln ohne ökonomischen Sinn zu eng geschnürt sind und das politisch Gebotene verhindern, müssen sie verändert werden. Die Schuldenbremse sollte um eine Regel zugunsten öffentlicher Investitionen ergänzt werden…Bei der Frage, wie mit den coronabedingten Krediten umzugehen ist, droht sich allerdings auch die politische Linke in einem Widerspruch zu verheddern. Wenn sie vorschlägt, dass die Kredite durch neue Steuern oder Abgaben — einen neuen Soli, eine Vermögensabgabe — getilgt werden sollen, argumentiert sie implizit, dass Kreditaufnahme ein Problem sei. Sicherlich braucht Deutschland ein gerechteres Steuersystem. Aber nicht in erster Linie, um Investitionen zu finanzieren oder Corona zu überwinden, sondern um die beschriebene dritte große Aufgabe zu bewältigen: das Problem der Ungerechtigkeit in Deutschland anzugehen. Dies hat einen Grund für sich und in sich…Nicht auf dem Höhepunkt der ökonomischen Krise, aber sobald die wirtschaftliche Erholung wieder stabil ist, sollten sehr hohe Einkommen mehr Einkommensteuer zahlen und große Vermögen überhaupt wieder besteuert werden…«
DIW-Studie zu Aufkommen und Verteilungswirkungen einer Vermögensabgabe im Auftrag der Linksfraktion und der rls (Oktober 2020) — Link
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat verschiedene Modelle einer Vermögensabgabe für Reiche geprüft. Demnach würde das von der Linksfraktion im Bundestag favorisierte Modell bis zu 310 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen spülen.«
Die Schuldenbremse nach der Corona-Krise. Von Michael Hüther, IW Köln, und Jens Südekum, Düsseldorf Institute for Competition Economics (September 2020) — Link
»…Wenn es einen solchen Paradigmenwechsel gibt, wird er auf zwei wesentlichen Triebkräften beruhen: erstens auf der großen Lücke bei den öffentlichen Investitionen, die vor der Pandemie zunehmend wahrgenommen und öffentlich diskutiert wurde. Angesichts des schärfsten wirtschaftlichen Strukturwandels (Dekarbonisierung, digitale Transformation, demografische Alterung, globale Desintegration) seit Jahrzehnten werden diese Defizite immer gravierender. Zweitens hat sich das Zinsumfeld grundlegend verändert, was sich wiederum auf die Durchführung der Fiskalpolitik und das fiskalische Paradigma im weiteren Sinne auswirken muss. Die Schuldenbremse wurde zu einer Zeit eingeführt, als der Zinssatz r größer als die Wachstumsrate g als „normaler“ Fall betrachtet wurde, und die umgekehrte Situation war ein unwahrscheinlicher Grenzfall. Wenn jedoch r < g aufgrund seiner Glaubwürdigkeit in Bezug auf Stabilität und als „sicherer Hafen“ als der neue Normalfall für die Deutschland angenommen werden kann, dann hat dies das Potenzial, eine grundlegende Änderung der Schuldenregulierung und der fiskalischen Regeln auszulösen…«
Corona-Krise und Ungleichheit: Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion (Juni 2020) — Link
»…Eine gerechte Lastenverteilung der Krisenfolgen und eine Verringerung der Vermögensungleichheit gehen Hand in Hand. Angesichts immer größerer Vermögen in den Händen weniger ist es dringend geboten, Multimillionäre und Milliardäre wieder vermehrt an der Finanzierung der Krisenfolgen zu beteiligen, beispiels- weise durch eine stärkere, progressive Besteuerung von Kapitalerträgen oder eine höhere Besteuerung großer Erbschaften und Schenkungen. Auch die Debatte um eine Wiederaufnahme der Vermögensteuer für die ein bis zwei Prozent der größten Vermögen müssen wir führen. Die Vermögensteuer hat nicht nur Symbolcharakter in der Bevölkerung, sondern kann für eine angemessenere Beteiligung der Vermögenden an der Finanzierung des Gemeinwesens beitragen. Die derzeitige Krisensituation verursacht hohe Staatsaus- gaben. Eine Vermögensteuer könnte ein substanzielles Aufkommen generieren und würde gezielt die ökonomisch leistungsstarken Teile der Bevölkerung treffen. Eine vergleichbare Wirkung hätte eine einmalige Vermögensabgabe. Klar ist aber auch: Diese steuerlichen Maßnahmen sollen erst nach der akuten Krise umgesetzt werden…«
Wie wir mit der richtigen Finanzpolitik gestärkt aus der Corona-Krise herauswachsen: Positionspapier der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion (September 2020) — Link
»…Bei der Finanzierung der Krisenlasten und der Zukunftsinvestitionen bauen wir auf zwei Säulen. Kern einer nachhaltigen Staatsfinanzierung bleibt eine Besteuerung der Einkommen und Vermögen nach Leistungsfähigkeit… Bei der Sekundärverteilung kann nur eine leistungsgerechte Steuerbeteiligung aller dazu beitragen, dass Investitionen und Innovationen zu einem höheren Lebensstandard für alle führen. Dazu ist eine Vermögensteuer mit progressiver Ausgestaltung ebenso notwendig wie eine effektive Erbschaftsbesteuerung insbesondere der großen Betriebsvermögen sowie eine Bodenwertzuwachssteuer, um leistungslose Bodenwertsteigerungen an die Gesellschaft zurückzugeben. Auch wollen wir sämtliche Finanztransaktionen besteuern sowie Kapitaleinkünfte konsequent nach dem individuellen progressiven Einkommensteuersatz behandeln…Die zweite Säule sind kreditfinanzierte Konjunkturpakete und Investitionen. Schulden sind dabei nicht per se gut, aber auch nicht per se schlecht. In der aktuellen Situation ist der Umfang der Maßnahmen der Situation angemessen und volkswirtschaftlich richtig. Die kreditfinanzierten Konjunkturprogramme bedeuten den Erhalt von Unternehmen und Arbeitsplätzen und sind die Steuereinnahmen von morgen…Die gegenwärtigen Fiskalregeln sind vor diesem Hintergrund zu eng gestrickt. In Deutschland wie auch in Europa brauchen wir deshalb Fiskalregeln, die neben der Ausgabenkontrolle den Staaten ausreichend Möglichkeiten für eine kurzfristige Stabilisierung der Gesamtwirtschaft und die langfristige Modernisierung des öffentlichen Kapitalstocks über Investitionen gibt. Die Ergänzung der deutschen Schuldenbremse und des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts um eine Goldene Regel für Investitionen wäre ein erster richtiger Schritt. Auch die Anhebung der Maastrichter Schuldenquote ist volkswirtschaftlich richtig…«
Themenseite Steuern bei der Grünen Bundespartei — Link
»Wir Grüne wollen ein gerechtes Steuersystem. Alle sollen ihren angemessenen Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Familien und Menschen mit geringen und mittleren Einkommen wollen wir entlasten. Superreiche können mehr beitragen als bisher. Wir wollen Steuertricksern und -betrügern das Handwerk legen. Eine ökologische Finanzreform sorgt dafür, dass Preise den Verbrauch natürlicher Ressourcen und die Folgekosten stärker berücksichtigen.«
Themenseite Umverteilen der Linkspartei — Link
»Mehr Gerechtigkeit und eine starke öffentliche Daseinsvorsorge gibt es nur, wenn die Unteren entlastet werden — und die Oberen stärker belastet. Hohe Einkommen und Vermögen, Erbschaften und Gewinne aus Kapital und Aktien müssen stärker besteuert werden.«
Wirtschaft mit Zukunft: Positionspapier Arbeitskreis Wirtschaft und Finanzen der Linksfraktion (Mai 2020) — Link
»Die Schuldenbremse im Grundgesetz ist durch die Rückkehr zu einer ›Goldenen Regel‹ zu ersetzen. Das heißt: Die Neuverschuldung darf der Höhe der öffentlichen Investitionen entsprechen. Die aktuelle Schuldenbremse verhindert notwendige Investitionen, die Vermögen für die Zukunft schaffen… Multimillionäre und Milliardäre sind an den Kosten der Corona-Krise zu beteiligen. Eine einmalige Vermögensabgabe von mindestens 10 Prozent auf die Vermögen des reichsten ein Prozent in Deutschland ist als Lastenausgleich verfassungsgemäß und mit Blick auf die extreme Vermögensungleichheit in Deutschland ökonomisch und sozial geboten… Angemessene Freibeträge für Betriebsvermögen sorgen dafür, dass die Abgabe die Superreichen trifft und nicht kleine und mittlere Unternehmen der produktiven Wirtschaft. Die einmalige Vermögensabgabe ersetzt dabei nicht eine dauerhafte und angemessene Besteuerung hoher Vermögen und Erbschaften… Außerdem ist es an der Zeit, eine echte Finanztransaktionssteuer, die auch Derivate umfasst, einzuführen, die Unternehmensbesteuerung zu reformieren und endlich auch Digitalunternehmen und Plattformen wie Amazon zur Kasse zu bitten. Steuererleichterungen für Unternehmen und Reiche wie die Vollabschaffung des Solidaritätszuschlags oder die Senkung der Körperschaftsteuer lehnen wir ab… Investitionen in die schnelle und dauerhafte Minderung von Treibhausgasen können zu einem erheblichen Teil durch die Abschaffung von Fehlanreizen in ökologisch schädlichen Subventionen und Steuerbefreiungen wie Privilegien für Diesel, Kerosin und Dienstwagen finanziert werden.«
DL21-Programmbausteine für die Bundestagswahl 2021 (Oktober 2020) — Link
»… Ein aktiver und handlungsfähiger Staat braucht Einnahmen. Diese werden bislang größtenteils über die Lohnsteuer und die Verbrauchssteuern durch Haushalte von abhängig Beschäftigten und von Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen geschultert. Zusätzlich hat sich der Staat durch die Schuldenbremse eine gesetzlich massive Ausgabenbeschränkung auferlegt. Diese wurde zwar jetzt in der einer „epidemischen Lage nationaler Tragweite“ ausgesetzt, soll aber wieder gelten, wenn diese Lage aufgehoben wird. Wir wollen durch gerechte Einkommensteuer, die Streichung der Privilegien für Superreiche und die wirksame Bekämpfung von Steuerhinterziehung die Einnahmen des Staates verbessern. Wir wollen die Schuldenbremse streichen. Diese beiden grundsätzlichen Punkte, gerechte Steuern und die Streichung der Schuldenbremse, machen bedarfsgerechte Investitionen in gesellschaftliche Infrastrukturen möglich und unterstützen einen aktiven und handlungsfähigen Sozialstaat und wirken damit verteilungsgerecht. Die Schuldenbremse steht für einen schwachen Staat…«
Mut zu mehr. Ein sozialdemokratisches Jahrzehnt gestalten: Positionspapier des Seeheimer Kreises in der SPD (September 2020) — Link
»…Zur sozialen Sicherheit gehört auch das Thema Steuerge- rechtigkeit. Diese wollen wir stärken. Gerecht ist es, die Spitzensteuersätze so zu verändern, dass der So- lidaritätszuschlag ganz abgeschafft werden kann. Deswegen soll der derzeitige Spitzensteuersatz von 42 Prozent erst ab einem Einkommen von 90.000 € greifen. Ab einem Einkommen von 125.000 € soll er auf 45 Prozent steigen. Auf Spitzensteuereinkommen oberhalb von 250.000 € wollen wir den Steuersatz auf 49 Prozent anheben. Gerecht ist eine effektive und bundesweit einheitlich angewendete Erbschaftsteuer. Bei der Besteuerung von Erbschaften sollen Familien weiterhin großzügige Freibeträge gewährt werden, sodass das (groß-)elterliche Haus nicht zur Tilgung der Steuerlast verkauft werden muss. Auch sollen große Firmenvermögen so besteuert werden, dass kein Risiko für die finanzielle Liquidität des Unternehmens und die Arbeitsplätze der Angestellten entsteht. Konkret kann das bedeuten, dass alle Erbschaften — egal, ob für Privatleute oder Firmen — oberhalb eines Freibetrags von einer Million Euro pro Person mit 10 Prozent besteuert werden. Diese 10 Prozent können unter Entfall sämtlicher Ausnahmen über eine Zeitspanne von zehn Jahren abgezahlt werden…«