Impfstoffe, Patente und andere Richtungsfragen
Die Bundes-SPD bekommt dieser Tage einige böse Bemerkungen für ihre wahlpolitisch motivierten Dehnungsübungen zu hören: »Die tun ja geradezu so, als seien sie in der Opposition!« Das macht sich in der Tat nicht so gut, wenn man mit dem Anspruch in ein Wahljahr geht, erneut in eine Regierung zu kommen. Es steht zudem ein bisschen schief in der Landschaft, wenn man bedenkt, dass die SPD in Ländern mitregiert, in denen es mit dem Impfen noch etwas schneller vorangehen könnte. Ein Hinweis, der übrigens auch für andere Parteien gilt.
Aber um Infektionsschutz, Gesundheitspolitik oder europäisches Vorgehen dreht sich die Debatte ja in Wahrheit gar nicht. Der Versuch, sich aus der Regierung heraus mit Kritik am Regierungskurs in der Impfstoff-Frage bei den Wähler*innen zu empfehlen, wird vor allem konstellationspolitisch bewertet: Wenn sich die SPD an der Union abarbeitet, welche Signale will und kann man darin für mögliche Bündnisse nach der Bundestagswahl im Herbst herauslesen? Ist das ein weiterer Schritt des Abrückens von der GroKo; einer Richtung Rot-Rot-Grün, ähm sorry: Grün-Rot-Rot — oder wohin?
So etwas ist nicht ganz uninteressant, zumal für Medien, die nach Koalitionsaussagen oder Ausschlussformeln lechzen. Es findet aber seine Grenze dort, wo es vor dem Substanziellen Halt macht, wo es eigentlich erst einmal regierungsprogrammatisch werden müsste, bevor man über mögliche Konstellationen redet: Was würde die SPD denn anders machen wollen in der Sache und warum bräuchte sie dazu dann welche Partner*innen?
Bleiben wir dazu kurz beim Impfstoff. Die SPD-Spitze sieht bei dem Thema Beschaffung und Organisation offene Fragen, die »jetzt gestellt werden müssen« (Olaf Scholz); und man denkt sich: Ein paar Vorschläge für alternative Antworten wären ja auch ganz spannend gewesen. Stattdessen erweckte die Sozialdemokratie sogar den Eindruck, politischen Honig aus der Mobilisierung von impf-nationalistischen Ressentiments saugen zu wollen (Lars Klingbeil). Auch der Ruf nach Runden Tischen mit der Pharmaindustrie ersetzt fehlende Antworten nicht. Es sei denn, man verbindet den in diesen Zeiten auch aus anderen Parteien häufig zu hörenden Vorschlag, nun aber schnell einen Gipfel für dieses oder jenes einzuberufen, mit etwas mehr Substanz.
Die Linkspartei hat den Vorschlag gemacht, die Versorgung mit Impfstoff dadurch zu verbessern, in dem politisch dafür gesorgt wird, dass auch andere Unternehmen eine Lizenz zum Nachproduzieren erhalten. Die Argumente derer, die auf die Komplexität der Herstellungsverfahren verweisen, ist aber womöglich nicht bloß an den kapitalistischen Haaren herbeigezogen. In der operativen Frage steckt freilich eine grundsätzliche: die der Patente, der privaten Aneignung aus öffentlich gefördertem Wissen, einer Eigentumslogik, die wieder und wieder in Widerspruch zum gesellschaftlichen Interesse und zu ethischen Ansprüchen gerät.
Es geht hier nicht um exklusive Herzensangelegenheiten von Linken, es geht um eine politische Notwendigkeit, die zum Beispiel UN-Generalsekretär António Guterres im Dezember 2020 im Bundestag so formuliert hat: »Jetzt ist es wichtig, dass die Impfstoffe als globales öffentliches Gut betrachtet werden. Sie müssen überall und für alle Menschen zugänglich und bezahlbar sein. Ein Impfstoff, der den Menschen gehört.« Auch Kanzlerin Angela Merkel hatte in der Vergangenheit mehrfach einen Covid-19-Impfstoff als »globales öffentliches Gut« bezeichnet, dem aber nichts folgen lassen, was zur Realisierung beiträgt. Die Pharma-Industrie hat sehr früh klargestellt, es »muss dabei bleiben, dass die Unternehmen Eigentümer ihrer Entwicklungen bleiben, schließlich haben sie Millionen dafür investiert«. Zu recht wird hier gefragt: Und was ist mit den Millionen öffentlichen Geldern?
Es ist einigermaßen wahrscheinlich, dass wirksame Schritte hin zu einer »an den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen ausgerichtete Politik, die Arzneimittel als globale öffentliche Güter behandelt und die Macht von Pharmaunternehmen im öffentlichen Interesse begrenzt« (Medico), mehr Zeit in Anspruch nehmen, als zu einer schnellen Ausweitung der zur aktuellen Impfkampagne zur Verfügung stehenden Ressourcen bleibt. Zumal dies mit der Zulassung weiterer Impfstoffe, den Korrekturen an der Impfstrategie und der Inbetriebnahme weiterer Produktionskapazitäten nun bereits »im alten Modus« geschieht.
Weichen für einen anderen Modus, einen mit mehr öffentlichem Zugriff auf die öffentlich geförderten Impfstoffe, hätten schon vor Monaten gestellt werden müssen. Biontech etwa hatte bereits im September 2020 die Übernahme einer Produktionsstätte angekündigt, also noch weit vor der Zulassung seines Impfstoffkandidaten BNT162, um Bemühungen voranzutreiben, »die kommerziellen Produktionskapazitäten zur Herstellung« auszubauen. Das Wörtchen »kommerziell« steht da nicht ohne Grund; dorthin kann nun niemand mehr zurückspringen.
Das spricht aber keineswegs gegen eine Debatte über Patente, geistiges Eigentum und öffentliche Güter, die auf die Zukunft und kommende Herausforderungen ausgerichtet ist. Dabei sollten dann Bedenken wie die von Karl Lauterbach geprüft werden, der eine »Lizenzenteignung« ablehnt, weil das »zukünftige Impfstoffentwicklungen dramatisch belasten« würde.
Es müssten aber auch weitergehende Forderungen wie die Aufhebung des Patentschutzes auf alle unentbehrlichen Medikamente zur Sprache kommen. »Das Patentsystem hat die Wissensproduktion im medizinischen Bereich ungerechterweise auf Gewinnmaximierung und Kapitalerträge ausgerichtet, nicht auf die Erforschung und Entwicklung lebensrettender Medikamente und deren faire Verteilung«, so Max Klein von der BUKO Pharma-Kampagne.
Wer an einem Richtungswechsel in der Bundespolitik interessiert ist, und das ist dem Vernehmen nach auch aber nicht allein die SPD, wird hier Antworten liefern müssen, wie politische Einstiege in eine andere Wissensproduktion im medizinischen Bereich aussehen könnten. Ganz konkret, mit einer nachvollziehbaren Durchsetzungsperspektive. Denn allein das Aufsagen von Zauberformeln a la »Vergesellschaftung der…« wird nicht reichen.
Das ist nicht als Appell zur gedanklichen Selbstzurückhaltung misszuverstehen. Im Gegenteil: Durch zu hohe Preise und strukturelle Hindernisse sterben jedes Jahr Millionen von Menschen an behandelbaren Krankheiten wie Diabetes oder Tuberkulose — in anderen Teilen der Welt. Dies ist ein ethisch völlig inakzeptabler Zustand. Das sollte auch denen einleuchten, die jetzt darauf verweisen, dass die Versorgung mit Corona-Impfstoff eine Frage des Lebens ist — nicht nur hierzulande.