Digitale Riesen: Möglichkeitsfenster für Machtkontrolle?
Bei der SPD stehen für den Sonntag noch einige Anträge zur Beratung an. Da sich die mediale Aufmerksamkeit auf die neue Parteispitze und das Sozialstaatskonzept kapriziert hat, dürfte es das Papier »Daten teilen für digitalen Fortschritt« zumindest wahrnehmungspolitisch etwas schwer haben. Die journalistische »Linksruck oder kein Linksruck«-Verengung, gern begleitet von abfälligen Personenbeschreibungen und prognostischer Besserwisserei was der Sozialdemokratie nun blühen werde, verstellt zudem den Blick auf ein paar Möglichkeiten.
Der Initiativantrag IA4 fasst Daten als »zentrale Ressource des Fortschritts«, sieht in ihnen ein »enormes« Potential, wobei die »besonderen Merkmale von Daten und der damit verbundene, weitreichende gesellschaftliche Nutzen«… dafür sprächen, »nicht personenbezogene und vollständig anonymisierte Daten möglichst ungehindert zirkulieren zu lassen«. Über die Frage, wie es denn mit der vollständigen Anonymisierbarkeit von Daten ausschaut, kann man streiten, ebenso über andere Grundannahmen des Antrags. Aber hier soll es um einen anderen Punkt gehen.
Der Antrag verweist darauf, dass »datengetriebene Märkte« in der gegenwärtigen und nur kaum regulierten Situation »aufgrund ihrer ökonomischen Eigenschaften eine starke Tendenz zur Monopolbildung« haben. Es gehe daher darum, »den Machtungleichgewichten des Datenkapitalismus eine Kultur der Machtkontrolle, des Schutzes des Einzelnen und des Daten-Teilens entgegensetzen, von der Bürger*innen, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen profitieren«, so die Initiative — die »Ansprüche an einen ethischen, fairen und gerechten Umgang mit den Daten und eine Orientierung der Datennutzung an einer nachhaltigen, sozial- und umweltverträglichen Innovation statt ausschließlicher Profitorientierung« gern ins Zentrum der »Diskussion um den zukünftigen Umgang mit Daten« stellen möchte. Wer das als Ziel formuliert, muss auch »Regulierung« sagen, denn diese Ansprüche können »nicht allein den Marktkräften und der Selbstregulierung von Unternehmen überlassen werden«.
Mit wem ist so etwas umsetzbar? Am Freitag haben drei Linkspolitikerin für ein »antimonopolistisches Bündnis für eine demokratische Digitalisierung« plädiert. Katja Kipping, Anke Domscheit-Berg und Katalin Gennburg schlagen in einem Papier diverse »Maßnahmen für Datensouveränität und zur Begrenzung der Macht der Internetmonopole« vor. »Was wir wollen, ist einen Weg aufzuzeigen, wie wir die Macht der Internetgiganten brechen und kooperative und gemeinwohlorientierte Eigentumsformen und Technik an ihre Stelle setzen können.« Dafür brauche man »heute nichts Geringeres« als ein breites Bündnis.
Wer beim Zusatz »antimonopolistisch« an Diskussionen der 1970er Jahre denkt, ist entweder schon etwas älter oder kennt sich in linker Programmgeschichte gut aus. Um ein Zurück geht es aber weder noch, sondern um einen Schritt nach vorn und dabei entspricht das Papier einer ziemlich weit verbreiteten Sicht: Es geht um eine »bisher unterschätze Gefahr: Die massive Konzentration wirtschaftlicher Macht, in den Händen einiger weniger Digital-Konzerne und ihrer Anteilseigner.«
Etwas dagegen zu unternehmen, ist nicht eben eine leichte Aufgabe. In dem Papier der Linkspolitikerinnen heißt es deshalb, »die Überwindung der digitalen Monopole ist daher auch keine Aufgabe für die Linke allein«, man suche Möglichkeiten, »Sozialdemokrat*innen wie Liberale, Sozialist*innen und Grüne, ja selbst fortschrittliche Konservative im Kampf für das Primat der Politik über die digitalen Riesen« zu vereinen. Man kann das vor allem bündnispolitisch interpretieren, man kann sich aber auch erst einmal von den Inhalten her nähern. Ohnehin ist beides notwendig, wer etwas fordert muss auch mal darüber nachgedacht haben, wie man sein Ziel erreichen kann. Mit anderen?
Wenn man den eingangs zitierten SPD-Antrag liest, wird man starke Überschneidungen nicht übersehen können. Und die Grünen hatten ja auch gerade Bundesdelegiertenkonferenz. Was wurde dort zu diesem Thema beschlossen? Unter anderem das Ziel, neue »Standards für die datengetriebene Wirtschaft« durchzusetzen, die ganz ähnlichen Grundannahmen folgen wie die beiden Papiere von Linkspartei und SPD. »Die Digitalisierung hat datenbasierte Plattform-Geschäftsmodelle hervorgebracht, die eine Tendenz zum Monopol aufweisen.« Auch nach Ansicht der Grünen sollten Infrastrukturen »eine öffentliche Aufgabe« sein, ein Prinzip, »das bei Stromnetzen oder Straßen selbstverständlich ist, muss im digitalen Bereich neu ausgehandelt werden«. Ein Ziel sei es, »privatisierte Marktplätze wieder öffentlich zugänglich zu machen«, es gehe darum, »Plattformen mit weitreichender Marktmacht« zu regulieren, »Oligopole« zu brechen, außerdem um mehr Datenschutz, anonymisierte Bereitstellung öffentlicher Daten, Einschränkung »globaler Datenmonopole weniger Konzerne und der ausufernden digitalen Überwachung und Auswertung der Daten durch staatliche Stellen« etc. etc.
Das klingt bei den Grünen und der SPD alles ein bisschen »wirtschaftsfreundlicher« als bei der Linkspartei, bei der wiederum ein systemtranszendierendes Moment deutlicher hervorsticht. Doch im Grunde weisen alle drei Papiere in eine ähnliche Richtung. Die Besteuerung großer Plattformen bildet dabei die umverteilungspolitische Komponente, die Regulierung von Monopolen hat einen gemeinsamen eigentums-, innovations- und machtpolitischen Hintergrund, ein sozial grundierter Freiheitsbegriff als Klammer wäre eine weitere Gemeinsamkeit und alle drei Zugänge gehen — freilich mit unterschiedlichen Betonungen — von grundsätzlich progressiven Potenzialen »der Digitalisierung« aus. Sofern man diese denn entfesseln könnte. Kann man?
Die drei Linkspolitikerinnen meinen: »Was noch vor wenigen Jahren als unrealistische und radikale Idee galt, kann heute konstruktiv diskutiert werden. Die digitalen Monopole haben den Bogen überspannt. Es gibt ein Möglichkeitsfenster für ein antimonopolitisches Bündnis, das die Spielregeln neu definiert.« Dass so etwas nicht auf drei Parteien beschränkt bleiben darf, dürfte als selbstverständlich betrachtet werden. Parlamentarische Mehrheiten für so einen Weg müssten auch erst wieder wachsen. So etwas passiert nciht zuletzt von unten. Wie wäre es mit einem »großen Ratschlag«, auf dem die Parteien einmal mit der digitalpolitischen Szene über den Stand ihrer Forderungen diskutieren?